Anlässlich des 25jährigen Jubiläums von CARDS wurde bei einem Interview im Garten der Familie Paulus in Ehrstädt die Vereinsgeschichte beleuchtet und aufgeschrieben.
Beteiligt waren
Arnold Paulus: Vorsitzender des Vereins seit der Gründung im Jahr 1986, jetzt Ehrenvorsitzender
Gertrud Paulus: Ehefrau von Arnold, Vereinsmitglied und Fachfrau für indische Küche
Ria Paulus: Seit 1998 Vorstandsmitglied, seit 2000 - 2. Vorsitzende des Vereins
Margit Nitsche: Schriftführerin des Vereins seit 1989
Erste Kontakte
Margit: Arnold, du erzählst ab und zu etwas von den ersten Kontakten mit CARDS und von den Anfängen des Vereins. Wer wie Ria und ich erst später dazu gekommen ist, erfährt immer wieder mal ein weiteres Bruchstück. Wie ist denn nun die ganze Geschichte – wie kamen Menschen zusammen, deren Leben sich so weit voneinander abspielt und wie hat sich alles entwickelt?
Ria: Mein erster Berührungspunkt war 1983. Ich war zum ersten Mal bei der Familie meines Freundes Walter zum Essen eingeladen. Es gab indisches Essen. Walter hatte mir erzählt, dass seine Eltern Gertrud und Arnold Paulus in Indien waren. Das war schon sehr ungewöhnlich. Wenn sonst jemand nach Indien gefahren ist, dann waren das junge Leute kurz nach dem Abi. Und die sind dann nach Goa oder nach Poona oder so. Und jetzt waren es die Eltern von meinem Freund. Es gab Reis - scharf, ein Fleischcurry, ein Gemüsecurry und Joghurt und dann - essen mit den Fingern. Auf Bananenblättern. Das war für mich sehr exotisch.
Das Gesprächsthema war natürlich Indien. Arnold hat erzählt und erzählt. Mir hat das erst mal wenig gesagt. Ich hatte zwar in der Schule schon etwas über das Kastensystem gelernt, aber dabei denkt man, das ist halt so, was soll ich da machen? Indien ist so weit weg und was Unberührbarkeit, Karma und Darma, für Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat , das kann man sich nicht vorstellen.
Margit: Gertrud und Arnold, wie seid ihr beiden eigentlich zu CARDS gekommen?
Arnold: Ja das dürfte so 1980/82 gewesen sein. Ich erinnere mich, dass ich bei einer Familienfreizeit in Wilhelmsfeld zum ersten Mal etwas von CARDS gehört habe. Bei einem Spaziergang hat mir Rolf Foos - der damals theologischer Mitarbeiter in der Bauernschule war - erzählt, dass die Bauernschule Leute von einer indischen Selbsthilfeorganisation einladen wollte. Und er hat mich dann direkt gefragt, ob ich Möglichkeiten hätte, 7 Inder für 3½ Wochen in landwirtschaftlichen Familien unterzubringen.
Ich war damals im Rahmen der „Kirchlichen Dienste auf dem Land“ der badischen Landeskirche, Vorsitzender des „Arbeitskreises Kraichgau“. In unserem Kreis waren 25 Landwirtsfamilien, durchweg aufgeschlossene Leute. Aber als ich die Anfrage dorthin weitergab, hat dieses Ansinnen zunächst einmal ziemliches Entsetzen ausgelöst, weil keiner sich so genau vorstellen konnte, was man denn mit einem Inder in einem landwirtschaftlichen Betrieb im Kraichgau anfangen soll.
Und als dann Herr Emmerling, der damalige Leiter der Bauernschule und Lydia Faul zu uns in die Sitzung gekommen sind und uns das genau erklärt haben und wir auch noch erfahren haben, dass das keine Landwirte in unserem Sinn, sondern landlose Landarbeiter aus der Schicht der Unberührbaren sind, die z.T. noch nicht einmal englisch sprechen würden, da war unsere Ratlosigkeit noch größer. Es hat einige längere Diskussionen gebraucht, bis wir schließlich ja gesagt haben.
Margit: Wenn du das so schilderst, kann man sich gut vorstellen, dass es nicht einfach war, sich auf diese Situation einzustellen.
Arnold: Das kann man so sagen. Aber als die Inder dann da waren, gab es kaum Probleme. Wir haben jeweils 2 Inder in einer Familie untergebracht, damit sie sich unterhalten konnten. Das hat sich auch als richtig erwiesen. Es kamen vier Landarbeiter, ein Sozialarbeiter, das war Lazarus und Viswanadam, ein pensionierter Lehrer, P. Ranjan Babus Vater. Der 7. war Ranjan Babu.
Ria: Lazarus kennen wir doch auch aus dem AIDS-Projekt.
Arnold: Ja, das hat er mit aufgebaut. Er war damals gerade mit seinem Studium fertig. Babu war alleine in einer Familie. Da die Inder nach der Hälfte ihrer Aufenthaltszeit zu einer anderen Familie wechselten, brauchten wir dann insgesamt 8 Familien. Wir waren wirklich froh, dass es uns damals gelungen ist. Und es ging erstaunlich gut. Eine große Hilfe war, dass Monika Schwarz, die damals Mitarbeiterin in der Bauernschule war, mit ihren guten Englisch-Kenntnissen die ganze Zeit zur Verfügung stand.
Was machen die Inder im Kraichgau?
Dann sind sie angekommen, im Mai 1981. Als wir sie das erste Mal gesehen haben, mit Sandalen und Dhoti, genauso wie sie in Indien ins Flugzeug gestiegen sind, da waren wir schon leicht sprachlos.
Ria: Von diesem Besuch gibt es auch historische Aufnahmen.
Arnold: Wir haben ihnen dann Gummistiefel und feste Schuhe besorgt, und auch Latzhosen, damit sie passend für die Arbeit auf den Feldern gekleidet waren. Es war alles recht lustig.
Gertrud: Ja, und auch ziemlich ungewohnt. Wir waren damals noch auf dem Eulenhof, auf dem Arnold zu dieser Zeit noch als Gutsverwalter gearbeitet hat. Ich kann mich erinnern, dass unsere Besucher aus Indien immer sehr früh auf waren und geduscht haben. Ich habe gestaunt, wie sie sich auf alles eingestellt haben. Der Yohan, einer unserer indischen Gäste, hat geholfen den Tisch abzudecken. Er hat sogar die Spülmaschine eingeräumt. Er hat genau aufgepasst, wie ich es mache und konnte sie dann zum Schluss auch selbst einschalten. Und als er und Viswanadam gesehen haben, wie ich den Garten gegossen habe, haben sie mir gleich geholfen. Überhaupt waren alle sehr geschickt, haben alles genau betrachtet und haben dann überall mit angepackt. Ich habe mir gedacht, wenn ich nach Indien komme, traue ich mich das nicht, weil ich ja nicht weiß, wie die Dinge dort ablaufen.
Arnold: Man hat eben versucht, ihnen alles zu zeigen. Sie waren total von den Socken, dass ein Landwirt, der 50 ha Land bewirtschaftet und 30-40 Kühe im Stall hat, wie z.B. der Wolfgang Huber, dass der jeden Tag arbeitet - und seine Frau auch. Das war für sie undenkbar, das kannten sie ja gar nicht. Anfangs haben wir das gar nicht kapiert, was das für die Inder eigentlich bedeutet, dass das in Indien nicht so ist, dass ein Landlord selbst arbeitet. Es war für beide Seiten ein enormer Lernprozess. Das war wohl auch der Hauptgrund, dass schließlich alle begeistert von dem Austausch waren, trotz Sprachschwierigkeiten und kulturellen Unterschieden.
Da gibt es schon tolle Geschichten: Den Yohan habe ich beim Rüben hacken einmal auf den Schlepper gesetzt. Ein Mitarbeiter des Hofes, der hinten die Hackmaschine steuerte, war ganz verzweifelt, wenn Yohan vorne zu nah an die Rüben gefahren ist. Yohan war der einzige der Gruppe, der noch in Schuldknechtschaft lebte und die Genehmigung des Landlords brauchte, um mitzudürfen. Solche Dinge haben wir nach und nach erfahren und dadurch immer mehr Einblick bekommen.
Gertrud: Als sie das erste Mal mit aufs Feld sind, mussten wir ihnen helfen, die Gummistiefel und Latzhosen anzuziehen, die Arnold ihnen gekauft hatte.
Arnold: Dass die Landlordfrau ihnen dabei hilft, war für sie eine umwerfende Erfahrung.
Ria: Du hast ihnen auch mal die Schuhe zugebunden und dich dabei vor sie hingekniet. Für die Inder hatte das eine ganz besondere Bedeutung.
Gertrud: Damals haben wir auch unsere Oma gepflegt. Als Swarnalatha Devi bei einem späteren Besuch dabei war, hat sie gestaunt, dass ich alles gemacht habe: waschen, einreiben, Arznei geben und Füße waschen.
Ria: Dass du vor deiner Schwiegermutter kniest und ihr die Füße wäschst, war ja dann auch ein Beitrag des Bodytheatres.
Gertrud: Genau, das war in Eppingen bei der Abschlussfeier am Ende des ersten Besuchs. Wir haben geschrien vor Lachen, als Yohan gespielt hat, wie er nicht ins Flugzeug steigen wollte.
Arnold: Sie haben versucht, uns pantomimisch begreiflich zu machen, was sie alles empfunden haben. Yohan hat zum Beispiel gespielt, wie er in Indien auf dem Flughafen stand und sich dachte, eigentlich solltest du wieder nach Hause gehen. Das ist nichts für dich in so ein Ding da reinsitzen. Das ist nichts für dich in so ein Ding da reinsitzen. Und hatte sich schon wieder halb umgedreht - das hat der so dargestellt, dass du es kapiert hast, ohne dass er etwas gesagt hat. Aber dann hat er sich vorgestellt, was in seinem Dorf passieren würde, wenn er zurückkommen würde, ohne dass er in Deutschland war. Dann ist er doch eingestiegen und völlig gottergeben auf seinem Sitz gesessen. Das war so fantastisch, wie sie uns das alles vorgespielt haben.
Gertrud: Oder die Szene mit dem WC. Einige Inder hatten gedacht, man müsse sich auf die Brille stehen – so wie bei einer indischen Toilette. Damit wurden auch Unterschiede deutlich, über die man normalerweise nicht so direkt spricht und an die man manchmal auch gar nicht denkt. Aber als sie dies spielten, hat man gleich gewusst, was gemeint ist.
Arnold: Dabei haben wir erstmals so richtig erlebt, was einige Inder für Begabungen haben, um so etwas darzustellen. Als wir später dann in Indien waren, haben wir ebenfalls gesehen, wie beeindruckend das ist, wenn sie in den Dörfern Bodytheatre vorspielen.
Ria: Seit diesem ersten Besuch wird Ehrstädt immer wieder von Indern „heimgesucht“. Ich weiß noch, wie eines Tages Gertrud kam und gesagt hat: „Ria, der Arnold ist nicht da. Und es kommen wieder Inder. Ich kann doch kein Englisch, bleib doch bei mir.“ Dann ging die Tür auf und da standen, Dr. Swarnalatha Devi, Sujartha und Govindaiha. Das war das erste Mal, dass Frauen dabei waren.
So nach und nach wurde ich auch immer mehr in die Sache verwickelt. Bei einem der ersten Besuche, die ich intensiver miterlebt habe, als Amanath und Venkat eine Woche bei uns waren, da haben diese beiden unsere Stapel mit 10 bis 12 Ster Holz bestaunt. Sie wollten wissen, was wir damit machen und wer das geschafft hat. Wir brauchen viel Holz, weil wir damit heizen. Und als sie erfuhren, dass natürlich Walter das Holz macht, da stand Amanath den ganzen Tag staunend vor dem Holzstoß und sagte: „A hard worker, very hard worker“. Dass das nicht irgendjemand anderes für uns macht, sondern dass wir es selbst gemacht haben, das hat sie fasziniert.
Erfahrungen in Deutschland
Arnold: Als unsere ersten Besucher wieder abgereist waren, konnten sie sicher zuhause einiges weitergeben, was in Deutschland ganz anders ist als in Indien. Z.B. dass man in Deutschland auch hart arbeiten muss. Sie haben dann auch immer wieder während ihrer Zeit hier bei uns gesagt, dass sie das ganz erstaunlich finden, dass uns die gebratenen Tauben nicht in den Mund fliegen, sondern dass dazu auch harte Arbeit gehört. Ich denke, die Erkenntnis war schon wichtig für sie.
Wir haben versucht, durch die verschiedensten Besichtigungen einen Eindruck von unserem Leben hier in Deutschland und im Kraichgau zu vermitteln. Wir haben mit ihnen Bauernhöfe besucht, auch solche, die ökologisch wirtschaften. Wir waren bei Genossenschaften, in Mühlen, Lagerhäusern, Milchwerken und auch bei der Volksbank. Babu hat sich sehr für das Genossenschaftswesen interessiert. Friedrich Wilhelm Raiffeisen war schon ein Begriff für ihn. Auf seinen Wunsch hin sollten wir unseren Besuchern die Genossenschaftsidee erklären. Wir haben versucht, auch die kleinen Anfänge in den Dörfern deutlich zu machen, dass eben die umfangreichen Strukturen, wie wir sie jetzt haben, erst nach einer langen Entwicklungszeit entstanden sind. Der Aufbau der Frauenspargruppen und der Mahila-Genossenschaftsbanken folgen diesem Muster.
Später bei den vielen Besuchen, die folgten, konnten wir immer wieder erleben, dass sie alles, was sie bei uns gesehen haben, in irgendeiner Weise für ihre Arbeit genutzt haben. Z.B. wenn wir mit ihnen Kindergärten, Altersheime oder auch die Einrichtungen für Behinderte besucht haben, dann haben sie ihre Beobachtungen in Indien auf die dortigen Verhältnisse angepasst und dies umgesetzt. Von Anfang an war mir sehr wichtig, dass nicht wir bestimmen was gemacht wird, sondern dass CARDS sehr selbstständig nach den eigenen Bedürfnissen entscheiden kann. Denn sie wissen ja am besten, was notwendig und auch machbar ist.
Die erste Reise nach Indien
Im Winter 1981/82 haben wir dann die 1. Reise nach Indien geplant. Leider konnten von den ersten Gast-Landwirten nur Frau Filsinger, Gertrud und ich mitkommen. Von der Bauernschule waren es Lydia Faul, Monika Schwarz und eine weitere Mitarbeiterin. Außerdem waren noch zwei junge Landwirte dabei, einer aus Mannheim und einer aus dem Taubertal, ehemalige Bauernschüler, die CARDS noch nicht kannten.
Als wir angekommen sind, nachts auf dem Bahnhof, wurden wir von unseren Gastgebern mit Blumengirlanden empfangen. Wir wurden in Rikschas verladen mitsamt unserem Gepäck. Es war stockdunkel. Es gab keine Straßenlaternen. Wir dachten, wo um Gottes Willen wird das hingehen. Sie sind mit uns durch die dunklen Straßen gesaust, aber alles ist gut gegangen
Gertrud: Das war schon ein unvergessliches Erlebnis. Wir saßen zu zweit in einer Fahrradrikscha. Ich war gespannt in welche Hütte wir kommen. Es hat ja geheißen, dass wir in den ganz normalen Hütten wohnen werden. Aber dann waren wir doch alle zusammen untergebracht in einem stillgelegten Hospital in Ponur. Wir haben sogar ein Zimmer für uns gehabt und Visvanadam hat jeden Abend Räucherstäbchen angezündet, um die Moskitos zu vertreiben, wie im Hotel.
Arnold: Außerdem gab es auch noch die Geckos, die Jagd auf die Moskitos machten. In Ponur hatte CARDS damals sein Hauptquartier. Es war für uns eingerichtet mit Feldbetten und mit einer Schwengelpumpe, sodass wir Wasser hatten. Da haben wir uns dann auch an Schöpfdusche[1] und ähnliche Dinge gewöhnt. Wir haben dabei auch unsere Erfahrungen mit diesen speziellen kulturellen Unterschieden gemacht, z.B. haben wir mit dem WC-Papier die Toilette verstopft.
Margit: Ihr habt es aber dann nicht pantomimisch dargestellt?
Arnold: Nein, das haben wir nicht. Ich glaube, das hätten wir nicht so gut gekonnt.
Ria: Die Versorgung mit Essen und Trinken war ja bestimmt auch ungewohnt?
Gertrud: Manche waren nicht so glücklich mit dem Essen. Die zwei jungen Landwirte haben immer gejammert, „Hätten wir nur Marmelade dabei“. Mit der Zeit hat man sich daran gewöhnt, auch, von Bananenblättern und mit den Fingern zu essen.
Der Kaffee war uns immer zu süß und mit soviel Milch drin. Diejenigen, die englisch konnten, haben immer gesagt, sie wollen keinen Zucker, aber es hat nicht viel genutzt.
Arnold: Am ersten Tag haben wir uns mit den Indern, die in Deutschland waren getroffen. Und da hat sich folgendes abgespielt: Die 4 Landarbeiter, die wirklich arme Leute waren, haben erwartet, dass sie von uns jetzt eine Menge Geld bekommen. Die ganze Verwandtschaft und das ganze Dorf war schon gespannt. Aber so war das ja nicht gedacht. Babu sagte damals von Anfang an zu mir: „Sie müssen es von dir hören, dass es so nicht geht.“ Ich habe es dann versucht und gesagt: „So war das nicht gedacht. Ihr solltet kennenlernen, wie es bei uns zugeht und daraus eure Schlüsse ziehen, was bei euch anders werden muss.“
Verstanden haben das eigentlich nur Yohan und Mohan Rao, der damals der erste Präsident von CARDS war. Beide haben weiter mit CARDS gearbeitet. Einer der anderen, Georgie ist in seinem Dorf, weil es kein Geld gegeben hat, so unter Druck gesetzt worden, dass er einfach wegbleiben musste.
Ria: Ich war einmal in einer ähnlichen Situation: Auf einer großen Veranstaltung, auf der ich ein paar Worte sprechen sollte und Preise von CARDS überreicht habe. Wir hatten plötzlich den Eindruck, dass alle darauf warteten, dass wir Geld oder Geschenke verteilen. Es war eine Riesenveranstaltung mit Lautsprecherübertragung und mir war ganz mulmig, weil das ganze Dorf versammelt war. Wir haben uns dann zu dritt – Sonja Richter, Daniel Herrtwich und ich – überlegt, was wir sagen sollten. Jesuratnam hat gemeint, wir müssten das den Leuten selbst sagen, das sei besser so. Die Worte, die wir uns sehr gut überlegten, habe ich zum Teil heute noch im Kopf. Wir haben gesagt, dass wir nicht einfach Geld bringen, sondern dass wir CARDS unterstützen, weil wir davon überzeugt sind, dass der Weg, den CARDS geht, der richtige Weg ist.
Margit: Für mich war das immer sehr beruhigend, sagen zu können: wir unterstützen CARDS. Es bekommt nicht ein einzelner oder eine Familie Geld als Geschenk oder Almosen das dann verbraucht wird und weg ist, sondern mit unserem Geld werden dauerhafte Strukturen aufgebaut, die langsam aber grundlegend und nachhaltig die Lebensbedingungen verbessern. Durch die lange, kontinuierliche und hartnäckige Arbeit von CARDS ist unser Vertrauen gewachsen. Jeder, der direkt Geld von uns möchte, wird an CARDS verwiesen., Er kann dort mitarbeiten und auf diesem Weg davon profitieren. Schnelles Geld bedeutet ja nicht unbedingt auch die richtige Hilfe. Oft ist eher das Gegenteil der Fall.
Arnold: Mit Sicherheit war es richtig, dass CARDS von Anfang an nur durch Kredite Hilfen gab. Zuerst hat es uns schockiert, als Babu uns erklärt hat, dass CARDS unsere Spenden nicht einfach weitergibt, diese sozusagen als Geschenke verteilt. Das hat er uns gleich von Anfang an klar gesagt. Als wir dann dort waren und begriffen haben, was dort für eine Armut herrscht, dachten wir, dass man die Menschen doch nicht einfach so sitzen lassen kann in ihrer elenden Lage. Aber was wäre die Alternative gewesen? Jeden Tag Reis verteilen? Wir haben gemerkt, dass das unmöglich wäre. Das ist höchstens sinnvoll in akuten Notlagen, als Katastrophenhilfe, wie beim Deevana-Projekt[2]. Man kann dadurch zeitlich begrenzt einzelnen helfen, aber auf diese Weise blieben die Betroffenen immer noch Bettler und unselbstständige Almosenempfänger. Wir haben begriffen, dass Babu recht hat, und wir haben uns darauf verlassen, dass er weiß, was er tut. Es ist für die Menschen der bessere Weg, ihnen auch ihr „Mensch sein“ und ihre Würde stärker ins Bewusstsein zu bringen. Damit sie nicht von Geschenken abhängig sind oder werden, sondern sich aus eigener Kraft Stück für Stück aus ihrer Armut befreien. Die Erfolge, die sie dabei erlebt haben und noch immer erleben sind wirklich eindrücklich.
Es ist schon ein beschwerlicher Weg, den CARDS zurückgelegt hat und noch weiter geht. Wir haben das aus Deutschland solidarisch verfolgt und sind auch schrittweise mitgegangen. In den Anfängen haben wir CARDS als eine Organisation kennen gelernt, die in erster Linie mit Erwachsenenbildung gearbeitet hat, mit Abendschulen für Männer und Frauen. Wir haben gelernt, dass die Geschlechter getrennt sein müssen, dass Frauen von Frauen unterrichtet werden müssen, denn sonst dürfen sie gar nicht kommen.
CARDS hat damals eine Schule gegründet, die es aber heute nicht mehr gibt. Das Gelände wurde CARDS von einem Landlord zur Verfügung gestellt. Es ist erstaunlich, dass doch auch immer wieder unter den Landlords Menschen sind, die verstanden haben, dass dies wichtig und richtig ist. Es war eine Schule für die Dalit-Kinder, aber es wurden auch Kinder aus anderen Kasten aufgenommen. Weil ein sehr guter Unterricht angeboten und ab der ersten Klasse bereits Englisch unterrichtet wurde, waren tatsächlich 3 oder 4 Kinder von Landlords dabei. In dieser Ganztagsschule haben die Kinder auch miteinander gegessen. Es ist wirklich so weit gekommen, dass Kinder von Landlords neben Dalit-Kindern gesessen haben und mit ihnen aus einer Schüssel gegessen haben, was ansonsten undenkbar ist. Derartige Beispiele zeigen, dass es immer wieder Versuche gab, Grenzen zu überschreiten.
Margit: Einfach ist das bis heute nicht.
Kulturelle Unterschiede
Arnold: Für uns war das auch nicht so leicht zu durchschauen, was alles im indischen gesellschaftlichen System nicht selbstverständlich ist, bzw. was alles dazugehört. (Um uns dies zu demonstrieren, war Babu sehr erfinderisch. Wir sind einmal an einen Staudamm gefahren und waren dort in einem Gästehaus eingeladen. Dort haben wir dann erlebt, wie ein Hochkastiger alle Hebel in Bewegung setzte, um uns von CARDS wegzubringen. Er hat uns den ganzen Nachmittag mit Whisky genötigt, auf uns eingeredet und das Blaue vom Himmel herunter versprochen: Tausend und Eine Nacht, mit Frauen usw., das schönste Leben. Das ist mir dann so auf den Geist gegangen, dass ich raus gegangen bin. Draußen auf der Straße ist Babu spazieren gegangen. Da habe ich ihn ziemlich hart angefahren, wie er auf die Idee kommt, uns mit so einem Kerl zu konfrontieren. Er hat sich amüsiert, denn gerade das war ja seine Absicht. Wir haben dann doch dort gegessen und übernachtet. Auf diese Weise hat er uns solche Dinge ganz handfest zu demonstriert, sonst hätten wir es wahrscheinlich gar nicht so schnell begriffen, was das Kastensystem eigentlich ist.
Margit: Solche Situationen, in denen die kulturellen Unterschiede krass zum Vorschein kommen, bemerkt man gar nicht immer. Das führt dann oft zu Missverständnissen. Oft sind es Kleinigkeiten, du weißt nicht, wann du jemand wie anschauen oder anlächeln darfst und wann nicht, bzw. was das auslösen kann. Jemand, der dir was verkaufen will, lächelst du freundlich an, bewunderst seine Ware, sagst lächelnd „Nein“, denn du willst nichts kaufen und wunderst dich, dass du ihn nicht mehr loswirst. Zuhause beschwerst du dich dann über die aufdringlichen Inder. Dabei hast du selbst mit deinem Lächeln Kaufinteresse signalisiert.
Du beurteilst das, was dir begegnet in der Regel mit deinem persönlichen oder individuellen Erfahrungshintergrund und überträgst es zunächst einmal. So einfach ist es aber nicht, weil die Lebensbedingungen so sehr unterschiedlich sind. Unberührbarkeit ist keine gesellschaftliche Erfahrung in unserem Teil der Welt. Wir haben keinen Blick dafür. Wir wundern uns z.B., dass die Inder erkennen können, ob sie einen Dalit oder eine Kastenhindu vor sich haben. Natürlich gibt es auch bei uns Menschen, die sich nicht gemeinsam an einen Tisch setzen würden und die sich aus dem Weg gehen, aber das hat dann eher persönliche Gründe. Durch die Begegnungen und Gespräche lernen wir immer mehr über das Leben in Indien und nehmen die Unterschiede besser wahr. Man fängt auch an über den eigenen Lebensstil nachzudenken und was man da in Frage stellen kann. Es gibt ja auch einiges, das die Inder an unserem Leben merkwürdig finden.
Arnold: Das würde ich auch sagen, dass man für sich selber kapiert, dass es nicht so selbstverständlich ist, wie wir hier leben. Es entwickelt sich ein anderes Weltbild und allmählich werden die Zusammenhänge besser begreifbar.
Was sich in den vergangenen Jahren immer mehr gefestigt hat, ist für mich die sichere Erkenntnis, dass das, was CARDS macht, richtig ist. „Dalit is dignified“, das ist die Grundlage. Die Erfahrung der eigenen Wertlosigkeit und die Stigmatisierung als „unberührbar“ muss abgeschüttelt werden, erst dann können die Dalits daran glauben, dass Veränderungen hin zum Besseren möglich sind.
Und die Menschen müssen merken, dass sie etwas davon haben. So wie sie jetzt durch die „Vision 2020“ mit Krediten für die Frauen einen Weg aus dieser absoluten Armut herausfinden und durch eigene Anstrengungen ihre Lebensbedingungen grundlegend verbessern können. Diese Erfahrungen verhindern mit Sicherheit auch ein Abgleiten in Terrorismus. Der kontinuierliche Aufbau von Strukturen, bei dem möglichst viele Menschen einbezogen werden, ist zwar mühsam, aber ich denke, es ist das richtige Vorgehen.
CARDS hat es vor allem durch die Cultural Programs, die Bildungsarbeit und nicht zuletzt durch die Thrift-groups[3] fertig gebracht, dass die Dalits an die eigene Würde als Mensch glauben. Das hat einen Prozess der Veränderungen in Gang gesetzt, den man gar nicht hoch genug einschätzen kann.
Margit: Der Möglichkeit, sich aus dem Elend und der Armut zu befreien, steht ja entgegen, dass jeder in sein Schicksal und seine Kaste hineingeboren ist und dass dies unabänderlich sei. Mittlerweile arbeiten die Dalits daran, ihre Situation zu verbessern – und sie erleben, dass Veränderung möglich ist. Wie war das denn so in der Anfangszeit?
Arnold: Das war außerordentlich schwierig und es ist ja auch heute noch eine Gratwanderung. Denn die wirtschaftlichen Verbesserungen im Leben der Dalits und auch, dass sie nun vermehrt ihre Rechte in Anspruch nehmen, bedeutet auf der anderen Seite, dass jahrtausendealte Privilegien beschnitten werden. Keiner lässt sich gerne etwas wegnehmen, sei es materiell oder die Macht, über andere zu bestimmen. Selbst als Christen haben Dalits erlebt, dass das Christentum sie nicht automatisch aus diesem „unberührbar sein“ befreit hat. Dass sie auch in den Kirchen zu den Untersten gehörten, war sicher auch eine große Enttäuschung. Sie haben sich sogar teilweise Nachteile eingehandelt, weil die Gesetze, die den Dalits Reservationen in gesellschaftlichen und beruflichen Bereichen als Dalits unter Hindus garantieren, nicht für Christen gelten, weil sie somit nicht mehr unter die Kasten gezählt werden. Das ist eben in der Realität nicht immer einfach. Trotzdem hat die christliche Botschaft der Gleichheit und der Befreiung erst den Weg aufgezeigt, der weiterführt und den CARDS konsequent und friedlich verfolgt, auch in Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Religionen.
Ria: Das ist auch in unserer Zusammenarbeit ein wichtiger Aspekt. Bei unserem Partner handelt es sich um eine christliche Organisation, die nicht versucht, Menschen anderer Religionen etwas überzustülpen oder sie zu bekehren, sondern die immer versucht, die anderen Religionen und ihre Gläubigen zu respektieren.
Arnold: Die Menschen wissen, dass sie aus dem Christentum und seinen Werten leben und dass Christen wie Father Hayer und Schmitthenner ihnen erst die Möglichkeit eröffnet haben, lernen zu können und Zugang zu Bildung zu haben. Dies war die wesentliche Grundlage für alle Entwicklungen und Veränderungen.
Ria: Vor allem auch für die Bewusstseinsbildung, die ich in Indien immer wieder als wichtigen Baustein erlebe.
Arnold: Das Alphabetisierungsprogramm hat CARDS ja am Anfang mit der Methode von Paolo Freire durchgeführt. Das allein hat schon zu einer Bewusstseinsänderung geführt. Wir haben ja alle Heimatdörfer unserer ersten Gäste besucht. Georgies Dorf lag innerhalb von zwei Kanälen und war dadurch so abgegrenzt, dass es schwer zu erreichen war. Es war regelrecht abgeschottet gegen die Umwelt. Dort haben Mitarbeiter von CARDS versucht, durch body-theatre und mit ihren Liedern die Männer von der Idee einer Abendschule zu überzeugen.
Ria: U.a. auch mit „Randi“, dem großen Lied.
Arnold: Die Texte haben wir nicht verstanden, aber man hat gemerkt, dass die Menschen beeindruckt waren, dass sie zuhörten und auch darüber redeten.
Gründung des Vereins
Nach unserer ersten Reise ist zweifellos klar geworden, dass es wichtig ist, an dieser Sache weiterzumachen. Wir haben gesagt, wir bleiben da dran und sammeln Geld. Frau Emmerling hat sich bereit erklärt, die Kasse zu führen. Wir haben zunächst für die allgemeine Arbeit von CARDS Geld gesammelt. Im ganzen Bereich der Badischen Landeskirche haben wir bei allen Arbeitskreisen gebettelt, ob sie 3 Jahre lang eine Art Selbstbesteuerung machen würden und jedes Jahr 100 DM spenden. Das hat auch funktioniert, sie haben von uns die Informationen bekommen und haben mitgemacht. Aber als Herr Emmerling aus der Bauernschule ausgeschieden ist, war ungewiss, wie der neue Leiter der Bauernschule eingestellt sein wird, ob er dabei ebenfalls mitwirkt. Deshalb haben wir uns entschlossen, den Verein zu gründen, damit CARDS auf jeden Fall weiter unterstützt werden kann. Damals, bei der Gründung 1986 hieß der Verein „Partnerschaft in der Dritten Welt e.V. – Hilfe zur Selbsthilfe“. Die Gründungsmitglieder wählten mich zum Vorsitzenden.
Ich habe dann überlegt, wen man noch für die Mitarbeit gewinnen könnte. Dieter Eitel war zu der Zeit gerade aus Afrika zurückgekommen, wo er im Entwicklungsdienst gearbeitet hatte. Ich habe zu ihm gesagt: „Sie waren doch in Afrika? Wir unterstützen eine indische Selbst-hilfeorganisation in Indien und wollen einen Verein gründen. Da könnten Sie doch Kassierer werden.“ Dieter war wohl schon etwas überrumpelt, hat aber schließlich ja gesagt. Darüber war ich sehr froh.
Margit: Meinen Mann Rainer und mich hast du ja auch so ähnlich eingefangen. Wir hatten damals einen Eine-Welt-Arbeitskreis gegründet, bei dem du auch regelmäßig dabei warst. Irgendwann hast du erzählt, dass euch im Verein jemand fehlt, der Schriftführer werden könnte und ich habe dann schließlich „angebissen“. So im Nachhinein glaube ich, dass du nur zum Arbeitskreis gekommen bist, um zu sehen, ob du jemand für den Verein und CARDS gewinnen kannst.
Arnold: Das kann gut sein. Man muss halt jede Gelegenheit nutzen. Das waren schon wichtige Fragen in der Anfangszeit: Wie kann man Leute gewinnen, dabei mitzumachen, wie kommt man Spenden?
Ideen und Aktionen
Ria: Da habt ihr euch einiges einfallen lassen. Ganz zu Anfang habt ihr doch auch Altpapiersammelaktionen durchgeführt?
Arnold: Ja, wir hatten damals einen gut funktionierenden Jugendkreis in Ehrstädt, den ich ein paar Jahre geleitet habe, weil zu dieser Zeit kein Pfarrer da war. Wir haben Altpapiersammlungen durchgeführt, die sehr erfolgreich waren. Dabei haben wir das Altpapier in der Schulscheuer zwischengelagert. Damals ist das noch ganz gut bezahlt worden.
Dann gab‘s die Aktion „Palmen statt Kracher“. Eine Clique, die sich um Christiane Kamps vom jetzigen Hotel Kamps in Ehrstädt gebildet hatte, hat das einige Jahre durchgeführt. Der Buchdrucker Barrier aus Sinsheim hat uns die notwendigen Informationszettel kostenlos gedruckt. Wir wollten die Leute dazu bringen, ihr Geld zum Neuen Jahr nicht für Feuerwerk auszugeben, sondern es für CARDS zu spenden. Das hatte auch einigen Erfolg. Auch bei Leuten, die sich sonst kein Feuerwerk kauften, war das ein guter Aufhänger für unsere Sache. Mit den Spenden wurden damals in Indien Kokospalmen gepflanzt.
Margit: Am Anfang kamen die Spenden mehr aus dem engeren Bekanntenkreis, aus der Bauernschule und dem kirchlichen Umfeld. Jeder, der eine Idee hatte, hat dazu beigetragen, dass etwas zusammengekommen ist.
Ria: War das Geld am Anfang nicht hauptsächlich für den Collegebau in Deenapur?
Arnold: Ja, aber Mittel gingen auch in die allgemeine Arbeit von CARDS, v.a. in die Erwachsenenbildung. Die Idee mit der College-Gründung hat Babu 1983 an mich herangetragen. Eines seiner Hauptziele dabei war es, Mitarbeiter für die Umsetzung der Dorfentwicklungsarbeit zu gewinnen. 1984 konnte er mit 14 Studenten anfangen.
Bei der Erwachsenenbildung wurde CARDS auch von „Brot für die Welt“ unterstützt. Für das College gab es zunächst keine Zuschüsse. Erst als die ersten 2 bis 3 Ausbildungs-Jahrgänge abgeschlossen waren und entsprechende Ergebnisse gebracht hatten, wurde der Bau der Gebäude durch die EZE[4] gefördert. Wir haben dann versucht, die allgemeinen laufenden Kosten aufzubringen. Das war der Anfang und dann kam eins zum anderen.
Als nächstes kam Babu und hat gesagt, dass er dringend Wohnheimplätze für Mädchen braucht, weil es undenkbar ist, dass Mädchen und Jungen gemeinsam untergebracht sind. Er hat ein Gelände in Guntur gefunden und brauchte nun Geld dafür. Ich habe gesagt, dass ich dann Pläne brauche, die zeigen, wie das aussehen soll. Die hat er mir geschickt und Rudi Buntzel - er war ja auch mitverantwortlich, dass der Kontakt zwischen der Bauernschule und CARDS entstand - hat mich auf den „Roth-Ausschuss“ der beiden Landeskirchen Baden und Württemberg hingewiesen. Dieser Ausschuss entscheidet über die Vergabe von Entwicklungshilfegeldern, die den Kirchen vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt werden. Die Leitung hatte Pfarrer Roth aus Pforzheim, den ich von früher kannte. Ich habe ihn angerufen, ihm mein Anliegen geschildert und ihm dann Pläne und Kostenvoranschlag geschickt. Er hat es im Ausschuss vorgebracht. Dort wurde es genehmigt und daraufhin haben wir dann vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg 75% der Kosten erstattet bekommen. Die fehlenden 25% hat der Verein aufgebracht. Mit diesen Mitteln wurde das Wohnheim gebaut.
Bei der Einweihung hat der Kanzler der Universität in Guntur Babu dazu angeregt, daraus ein Frauencollege zu machen, da dringend Collegeplätze für Frauen benötigt werden. Babu hat mir dann – dieses Mal schon gleich – die Pläne geschickt und ich bin noch mal zu Pfarrer Roth gegangen und habe noch einmal versucht, Mittel zu bekommen. Und wir hatten noch einmal Glück. Später war das dann leider nicht mehr so. Den Roth-Ausschuss gibt es nicht mehr. Lydia hat es später einmal mit einem Antrag bei der EU versucht und Margit, du hast einen Antrag beim Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg eingereicht. Beides war ein riesiger Aufwand und beide Anträge wurden leider abgelehnt.
Margit: Ja, das war schon enttäuschend, vor allem, weil wir ja in beiden Fällen auch noch Veränderungen vorgenommen haben, die gewünscht wurden. Wir mussten die Anträge 2-3mal überarbeiten. Das hat sich so lange hingezogen, viel Arbeit gemacht und dann wurden die Anträge trotzdem abgelehnt. Diese Arbeit würde ich mir nicht mehr machen. Bei der derzeitigen Finanzlage ist das so eine unsichere Sache, dass der Aufwand sich nicht lohnt.
Glücklicherweise haben sich für uns andere Wege aufgetan, z.B. die Unterstützung durch die Cronstetten-Hynspergische Stiftung und die Betty-Huber-Stiftung. Es ist ein Unterschied, ob in einem Amt Bürokraten sitzen, die Papier bearbeiten oder ob hinter einer Organisation Menschen stehen, die sich von einer Idee begeistern lassen.
Ria: Auch die Zusammenarbeit mit Ulrike und Harald Paeper vom Mosbacher Verein mit dem ähnlichen Namen „Partnerschaft In Einer Welt e.V.“, der dort den „Eine-Welt-Laden“ betreibt, hat CARDS viel gebracht - Spenden und vor allem auch die Kontakte zu den „Johannes-Anstalten Mosbach“, einer Einrichtung für Behinderte. Harald Paeper ist es sogar noch einmal gelungen, für die Augenoperationen der Aktion „500 Augen sehen wieder“ Zuschuss aus öffentlichen Mitteln zu bekommen. Der Schwerpunkt der Unterstützung von CARDS durch diesen Verein liegt jetzt im Bereich von verschiedenen Gesundheitsprojekten.
Arnold: Es ist wirklich erstaunlich, wie unser Verein zusammen mit CARDS gewachsen ist und sich entwickelt hat. Es war uns immer ein wichtiges Anliegen, CARDS’ Aktivitäten zwar zu diskutieren, sicherlich, aber wenn wir einsehen, dass das gut und richtig ist, diese auch ohne große inhaltliche Einflussnahme zu unterstützen, weil wir immer das Vertrauen gehabt haben, dass unser Partner mit den Geldern, die er von uns bekommt auch verantwortungsvoll umgeht. Ich erinnere mich, dass Babu einmal anlässlich irgendeiner Sitzung in Indien gesagt hat, „An diesem Geld klebt der Schweiß deutscher Arbeiter. Das bedeutet, dass ihr mit diesen Geldern sorgfältigst umzugehen habt.“ Das hat er ganz klar und deutlich gesagt, auch von daher habe ich immer volles Vertrauen gehabt.
Ria: Das Vertrauen hat ja mit den Aktivitäten wachsen können. Als ihr den Verein gegründet habt, hat man ja „nur“ an Aktionen gedacht wie Altpapier sammeln, „Palmen statt Kracher“, gelegentlich mal eine Kollekte in einer Kirchengemeinde. Das war für die Beteiligten im Verein und auch für die Spender überschaubar. Heute überlegen wir uns im Vorstand, welches Projekt oder welcher Arbeitsbereich von CARDS welche Adressaten und Zielgruppen ansprechen könnte.
Margit: Ein weiteres Projekt, das für CARDS und auch für den Verein einen ziemlichen Aufschwung gebracht hat, waren die „Thrift-Gruppen“ und die „Vision 2020“. Dadurch hat sich CARDS enorm – auch räumlich – ausgebreitet und an Bedeutung gewonnen.
Ria: Dabei haben die Frauen eine ganz große Rolle gespielt, die Entwicklung voran zu bringen.
Arnold: Ja, in der Beziehung hat es ganz große Fortschritte gegeben. Es ging bei CARDS immer schon um die Frage der Rolle der Frauen, ihre Schwierigkeiten und Möglichkeiten. Die Bildungsarbeit für Frauen erschien eigentlich zunächst als eine wenig erfolgversprechende und unerreichbare Sache, weil Dalit-Frauen vielfach benachteiligt sind und weder in der Gesellschaft noch in ihren Familien etwas zu sagen haben. Dass bei uns früher die Situation der Frauen auch nicht unbedingt ein Zuckerschlecken war, sieht man z.B. an dem alten Sprichwort: „Weiber sterben bringt kein Verderben, aber Gäul verrecken das bringt Schrecken“. Da hat sich auch bei uns einiges geändert und an manche Zustände von früher denkt man heute gar nicht mehr.
Als wir bei einer unserer ersten Reisen ein Dorf besuchten, haben Frauen einen Auftritt vorbereitet. Wir haben es damals miterlebt, wie der Mann einer der Frauen kam und sie von der Bühne zerrte. Sie durfte in der Öffentlichkeit nicht auftreten. Das war die Situation vor ca. 20 Jahren, dass diese Frau ziemlich brutal nach Hause getrieben wurde. Ganz anders dagegen eine zweite Begebenheit, 10 Jahre später, als eine Frau selbstbewusst eine Rede an die Männer gehalten hat. Die Entwicklung war ganz deutlich zu sehen. Als sie das Mikro genommen und losgelegt hat, habe ich gespürt, jetzt wandelt sich etwas. Es hat einen Wert, was die Frauen machen. Es ist ein Bewusstseinswandel im Gange, der unwahrscheinlich fest sein wird. Dieser Wandel ging weiter, bis dahin, dass z.B. Frauen ihre eigene Ziegelei aufgemacht haben und ihre Männer als Angestellte eingestellt haben. Das ist ein ungeheurer Durchbruch - schon allein, dass die Männer das akzeptieren. Das hat mich immer gewundert und ich habe Babu oft gefragt: „Wie kommt das eigentlich, dass die Männer nicht dagegen protestieren, dass sie sich das gefallen lassen.“ Da hat er nur gelacht und gesagt, „Die merken eben auch, dass es die Frauen besser können“.
Margit: Diese Szene, ist mir auch sehr gut im Gedächtnis geblieben. In einem großen Zelt waren eine Menge Leute versammelt. Wir saßen mit unserer Besuchergruppe auf dem Podium. Als die Frau spontan ans Mikrophon ging, war zu spüren, dass dies so nicht eingeplant war. Die Männer sind ganz nervös geworden und wollten sie zurückhalten. Sie ließ sich aber nicht zurückhalten und ergriff das Wort. Swarnalatha Devi hat ihr ermutigend zugenickt. Die Frau hat betont, wie wichtig es sei, die Kinder in die Schule zu schicken. Die Frauen hätten das verstanden, aber die Männer seien so rückständig und müssten das auch endlich begreifen. Die Frauen haben alle gelacht und geklatscht, und den Männern war das alles sichtlich unangenehm.
Arnold: Das war für mich wirklich der Wendepunkt in Richtung Verbesserung. Ich denke, die ganze weitere Entwicklung wäre ohne diesen Bewusstseinswandel bei den Frauen nicht möglich gewesen.
Margit: Als ich 1999 zum zweiten Mal in Indien war, habe ich in einem Dorf bei einer Thriftgruppen-Versammlung gesagt: „Ihr könnt stolz auf das sein, was ihr geschafft habt. Wenn ich zurückkomme nach Deutschland werde ich berichten, dass indische Dalit-Frauen das Gesicht ihrer Dörfer verändern.“ Man hat das den Dörfern auch wirklich angesehen, wo CARDS gearbeitet hat und wo es Thriftgruppen gab. Und die Erfolge haben dann ja auch immer mehr Frauen dazu gebracht mitzumachen.
Ria: Wichtig war dabei auch, dass auf diese Weise die Kinder vom Zwang zur Kinderarbeit befreit werden und zur Schule gehen können.
Margit: Die Ausweitung der Arbeit von CARDS in dieser Phase war für den Verein eine Herausforderung, die uns einiges abverlangt hat. Am Beginn stand die „Aktion 33“, bei der wir dazu aufgerufen hatten, 33 DM für die Einrichtung einer Frauenspargruppe zu spenden. Das war noch ein überschaubarer Betrag für die Spender und das Konzept der Spargruppen hat viele überzeugt. Als es dann aber darum ging, 2020 mal 200 DM für den Start der „Vision 2020“ zusammenzubringen, haben wir uns zuerst total überfordert gefühlt. Unser Jahresspenden-aufkommen lag durchschnittlich bei 60.000 bis 70.000 DM. Jetzt ging es um eine Menge mehr Geld, um insgesamt 404.000 DM.
Arnold: Dafür die Verantwortung zu tragen, gab es viele Bedenken. Zu recht. Aber wir haben es gemeinsam getragen, weil wir letztendlich überzeugt waren, dass es funktionieren kann. Die Entscheidungsfindung im Vorstand und der Beschluss zur Aufnahme eines Kredits zur Finanzierung der „Vision 2020“ bei der Mitgliederversammlung 1999 war dramatisch, das kann man schon so sagen. Nachdem die Entscheidung dafür gefallen war, haben sich einige Vereinsmitglieder gefunden, die dem Verein zinslose Darlehen gegeben haben, sodass der weiterhin aufzubringende Bankkredit niedriger sein konnte. Für diesen Bankkredit haben darüber hinaus genügend Vereinsmitglieder für Beträge um jeweils 10.000 oder 20.000 DM gebürgt.
Wir sind da nicht blauäugig drangegangen. Ich habe Erfahrung in diesen Dingen und habe auch mit der Bank gesprochen. Ich habe keine Angst gehabt, dass wir da scheitern könnten. Aber dass es dann in der folgenden Zeit so schnell zu bewältigen war und im Anschluss an die Tilgung dann wieder Geld frei wurde für anderes, das hätte ich nicht gedacht. Ich habe damals zu Babu gesagt: „Du musst dir im Klaren sein, solange wir diese Kredite nicht getilgt haben, geht nichts anderes.“ Wir haben gerechnet, dass es 5 bis 6 Jahre dauern wird, bis wir soviel Spenden zusammen haben würden. Im Januar/Februar 2000 haben wir das Geld nach Indien überwiesen und schon Anfang 2003 hatten wir alle Kredite zurückzahlen können.
Margit: Das hätte keiner gedacht, außer vielleicht Lydia, die von Anfang an davon überzeugt war und sich sehr stark dafür gemacht hat. Wir hatten Bedenken, dass der Betrag von 200 DM zu hoch ist für unsere Spender, die oft nicht gerade „überflüssiges“ Geld im Geldbeutel haben. Aber es war dann tatsächlich so, dass sich auch Leute zusammengetan haben, z.B. Schulklassen oder Frauengruppen. Die „Vision 2020“ und der Betrag von 200 DM, bzw. heute 100 € hat einiges an Energien und Ideen herausgefordert.
Die Unterstützung wächst
Arnold: In diesen beinahe zwei Jahrzehnten ist der Verein enorm gewachsen. Mit einigen Landwirten hat es angefangen. Die sind auch zum größten Teil immer noch dabei. Auch die Gruppen und Kreise im Bereich der evangelischen Kirche waren und sind immer noch ein wichtiges Standbein. Es gibt Frauengruppen und Kirchengemeinden, wie z.B. Welzheim und den Kirchenbezirk Sinsheim mit einigen Kirchengemeinden, die regelmäßig CARDS unterstützen. Der kirchlich-landwirtschaftliche Rahmen ist immer noch eine Klammer, die den Verein zusammenhält. Aber in den letzten Jahren hat unser Verein diese „Grenze“ längst überschritten und ist auch in andere gesellschaftliche Bereiche vorgedrungen.
Wichtig sind mir vor allem die Kontakte zu Schulen. Ich nehme sehr gerne Einladungen von Schulen wahr und habe schon vor vielen Schulklassen Dia-Vorträge gehalten. Für die Schüler ist das eine willkommene Abwechslung vom Unterricht und das Interesse ist bei den meisten groß. Aus manchen Kontakten ergeben sich längerfristige Unterstützungen, wie z.B. mit der Kraichgau Realschule in Sinsheim, der Carl-Orff-Schule Sinsheim und der Pestalozzi-Realschule in Mosbach oder auch einzelne Aktionen wie im letzten Jahr die „Eine-Welt-Nacht“ im Gymnasium in Eppingen.
Durch Diavorträge können wir sehr viele Menschen ansprechen. Es kann und will ja nicht jeder nach Indien fliegen und die Fotos, unsere Geschichten und Erfahrungen vermitteln ein ganz gutes Bild. Auch Lydia Faul, Ria Paulus, Margit Nitsche, Steffi König und viele andere aus dem Verein gehen zu Dia-Vorträgen in Kirchengemeinden, Schulen, zu Privatpersonen usw., um CARDS bekannt zu machen. So hat CARDS’ Idee schon weite Kreise gezogen.
Mittlerweile haben wir über 150 Mitglieder und über 300 Adressen von Spendern, die uns immer wieder kleinere und auch größere Beträge zukommen lassen. Der Verein hat sich inzwischen an vielen Stellen in Deutschland ausgebreitet. Viele aktive Mitglieder, die umgezogen sind, haben uns „mitgenommen“ und sind an ihren neuen Wohnorten weiter aktiv. Dort gewinnen sie neue Spender und auch Mitglieder.
Über die Jahre hinweg gab es die unterschiedlichsten Entwicklungen. Jochen Timmer z.B., lernte CARDS auf einer Weltmissionskonferenz in Sri Lanka kennen. Er wurde Gründungsmitglied und machte CARDS’ Arbeit in der Wuppertaler Kirchengemeinde bekannt, in der er damals als Jugendreferent arbeitete. Durch ihn entstand dann auch ein Kontakt zum Predigerseminar in Wuppertal. Im September/Oktober 1995 reiste eine Gruppe vom Prediger-Seminar nach Indien. Angeregt wurde die Reise von unserem Vereinsmitglied Ravinder Salooja, der damals Vikar war und CARDS selbst schon besucht hatte. Eberhard Mechels leitete die Reise und neben 7 Vikarinnen und Vikaren war auch Brigitte Krahe (als Angestellte des Prediger-Seminars) mit dabei. Am 10.06.1996 wurde offiziell die Nord-West-Gruppe ins Leben gerufen, die sich unserem Verein anschloss und seitdem mit einem Vertreter / einer Vertreterin im Vorstand mit dabei ist.
Mit dem Umzug Eberhard Mechels drang der Verein bis in den hohen Norden nach Ostfriesland vor. Schon lange dabei ist auch Gebhard Schwägerl, der die bayrische Fraktion vertritt.
Praktikantinnen und Praktikanten
Margit: An der flächenhaften Ausbreitung sind auch die Reisegruppen und die Praktikantinnen und Praktikanten beteiligt. So manche junge Menschen haben in Indien Erfahrungen gemacht, die sie in ihrer Entwicklung geprägt haben. Nicht alle bleiben dabei, aber doch sehr viele, die sich dann in verschiedener Weise auch im Verein engagieren. Steffi König ist da ein Beispiel, Sigrun Landes-Brenner, Monika Waldmann (ehemals: Sandhöfner), Sonja Richter-Münch, Ria Paulus, Maria Nitsche, um nur ein paar zu nennen.
Auch für diejenigen, die nicht mehr so jung zu unserem Verein stoßen, sind die Besuche bei CARDS beeindruckend und oft der Anstoß für ein längerfristiges Engagement.
Arnold: Wenn ich daran denke, wie Yvonne Bär und Sigrun Landes 1984 zu mir gekommen sind. Das waren ja noch junge Mädchen. Ich hatte einen Vortrag bei den Mennoniten in einem Jugendkreis gehalten. Zwei Tage später sind die beiden gekommen und waren felsenfest entschlossen, sich die Arbeit von CARDS in Indien direkt anzuschauen und ich sollte dies in die Wege leiten. Es war das erste Mal, dass jemand auf so eine Idee kam und wir waren nicht sicher, ob wir das unterstützen können, aber die beiden hatten keine Zweifel, dass sie das schaffen. Ich sagte, sie sollen erst einmal ihre Eltern fragen. Von dieser Seite gab es keine Probleme. Die Eltern waren überzeugt, dass ihre Kinder in Gottes Hand sind.
Ria: Das waren die ersten beiden und danach kam Steffi König?
Arnold: Ja, und nach Steffi kamen noch zahlreiche Praktikantinnen und Praktikanten zu CARDS, teilweise über unseren Verein oder auch durch die ESG (Evangelische Studentengemeinde) der Fachhochschule Frankfurt und von der Katholischen Fachhochschule für Sozialarbeit in Mainz.
Für den Verein sind die Praktikanten mit eine Gewähr dafür, dass die Arbeit zukunftsgerichtet weitergehen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere neue erste Vorsitzende, die ja ihre engagierte Mitarbeit im Verein auch als Praktikantin begonnen hat und die im Anschluss zu Wort kommt.
Ich freue mich jedenfalls sehr, dass die Leitung unseres Vereins auch weiterhin in zuverlässigen Händen liegt und dass die Unterstützung von CARDS weitergehen kann. Aus den bisherigen Erfahrungen heraus, schaue ich zuversichtlich in die Zukunft.
Mit Arnold und Gertrud Paulus sprachen Margit Nitsche und Ria Paulus.
Bearbeitung: Margit Nitsche und Jens Brenner
Wie alles begann: Lydia Faul erzählt von den Anfängen
[1] Man schöpft mit einem Becher aus einem großen Eimer Wasser und übergießt sich damit.
[2] Eine Mahlzeit täglich für alte Menschen, während der Dürre im Frühjahr 2003.
[3] Frauen-Spargruppen
[4] Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe